Regimegegner im honduranischen Hochsicherheitsgefängnis "La Tolva" schweben in Lebensgefahr
Seit
Juni 2019 warnen Familienangehörige, das Komitee für Politische
Gefangene und
Menschenrechts-organisationen, dass die drei
Untersuchungs-häftlinge Edwin Espinal, Raúl Álvarez und Rommel Herrera im
Hochsicherheits-gefängnis "La Tolva", 60 Kilometer von der
honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa entfernt, in Lebensgefahr
schweben. Sie hatten mehrfach Morddrohungen erhalten und herausgefunden,
dass ein Gefangenenaufstand vorgetäuscht werden sollte, um sie zu
töten. Edwin Espinal, ein bekannter honduranischer Aktivist und Raúl
Álvarez, ein ehemaliger Polizist, waren im Januar 2018 im Kontext der
Proteste gegen den Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen verhaftet
worden, Rommel Herrera dann im Mai 2019 bei Protesten gegen
Privatisierungen und für den Rücktritt von Präsident Juan Orlando
Hernández. Angehörige und Unterstützer*innen forderten am 4.Juli in
einer Pressekonferenz Garantien für das Leben und die Unversehrtheit der
drei, ihre sofortige Verlegung in ein normales Gefängnis und ihre
baldige Freilassung.Die Rache des Staates folgte auf dem Fuße: Am 7.Juli 2019 wurden Espinal, Álvarez und Herrera, als sie sich weigerten, in ihre Zellenblocks zurückzukehren, isoliert und gemeinsam in eine kleine Zelle innerhalb des Hochsicherheitsgefängnisses gebracht. Die Zelle hat keine Fenster, keine Lüftung und keinen Wasseranschluss. Die Gefangenen müssen in Plastikflaschen urinieren und, wenn sie zur Toilette wollen, lange gegen die Tür schlagen. Bis zum 12. Juli erhielten sie zudem kein Trinkwasser. Alle drei sind krank. Edwin Espinal hat ohnehin wegen einer in der Haft nicht rechtzeitig behandelten Infektion bereits auf dem linken Ohr das Gehör verloren. Die Anwälte der politischen Gefangenen haben eine ganze Serie von Eingaben gemacht und Rechtsmittel eingelegt, um den honduranischen Staat an seine Schutzpflicht zu erinnern. Auch ein Richter ordnete Untersuchungen ihrer Situation an – bisher ohne Ergebnis.
Gegen Espinal, Álvarez und Herrera läuft eine massive Diffamierungskampagne. Da sie sich für Häftlingsrechte einsetzen, werden sie als aufrührerisch und gewalttätig gebrandmarkt. Im Mai und Juni, als erneut Tausende auf den Straßen von Honduras protestierten, wurden alle Familienbesuche im Hochsicherheitsgefängnis ebenso wie Arztbesuche der Gefangenen und sämtliche Gerichtsverfahren gestoppt. Ein ideales Szenario, um den drei politischen Gefangenen die "Schuld" dafür zuzuschieben und ihre Mithäftlinge, teils Mitglieder gefährlicher Banden und Schwerkriminelle, gegen sie aufzubringen.
Edwin Espinal (44), der durch seine offene Art und sein Charisma viele Menschen für den Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse mobilisieren konnte, ist in Honduras eine bekannte Persönlichkeit. Er war mit der 2016 ermordeten Berta Cáceres befreundet und unterstützte Proteste sozialer Bewegungen, die aus ländlichen Gegenden in die Hauptstadt kamen, ebenso wie Jugendliche seines Stadtviertels, die für einen Fußballplatz kämpften, oder Nachbarn, die sich gegen das Abholzen von Bäumen durch die Stadtverwaltung wehrten. Seit dem zivil-militärischen Putsch 2009 war der Aktivist immer wieder staatlicher Schikane, willkürlichen Verhaftungen mit Folter, illegalen Hausdurchsuchungen und Bedrohungen ausgesetzt. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hatte deshalb mehrfach Schutzmaßnahmen für ihn angeordnet.
Am 19. Januar 2018 wurde er aufgrund von konstruierten Vorwürfen im Zusammenhang mit Sachschäden und einem Brand im Hotel Marriott festgenommen. Staatliche Sicherheitskräfte hatten zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 30 Protestierende und unbeteiligte Passanten erschossen. Dutzende Demonstranten waren im Gefängnis gelandet. Gemeinsam mit Raúl Álvarez (26), der sich ebenfalls an den Protesten beteiligt hatte, ist Edwin Espinal seither im vom Militär geleiteten Hochsicherheitsgefängnis "La Tolva" inhaftiert. Richter und Staatsanwalt, die Espinal dorthin schickten, waren dieselben, die 2013 eine Hausdurchsuchung bei ihm veranlasst hatten.
Militärisches Reglement und Bandenherrschaft
"La Tolva" gehört, wie auch "El Pozo", zu Gefängnissen Typ "Alcatraz", deren Bauteile und Regelwerke aus den USA importiert und in mehreren lateinamerikanischen Ländern aufgebaut wurden. Die Haftbedingungen waren auch schon bis zum 7. Juli menschenunwürdig und dazu angetan, die Gefangenen psychisch und physisch zu brechen: Sie bekommen nur zwei Stunden Hofgang mit Tageslicht pro Monat. Die Trinkwasserversorgung hatte sich zuletzt verbessert, blieb aber immer wieder unzureichend. Für die persönliche Hygiene der Häftlinge gibt es nur drei Stunden fließendes Wasser am Tag. Familienbesuche werden immer wieder eingeschränkt. Die Anwälte bekommen keinen Zugang zu den gefängnisinternen Akten ihrer Klienten und dürfen sie nur einmal pro Woche für zehn Minuten unter strikter Bewachung sehen; sie dürfen keinerlei Notizen anfertigen. Auch für die Häftlinge sind Bücher, Papier und Stifte streng verboten. Außerhalb der Besuchszeiten haben sie keinerlei Kontakt mit der Außenwelt. Die aus dem US-Inventar noch vorhandenen Telefone wurden längst abmontiert. Ihre Angehörigen können zwischen den persönlichen Besuchen oft wochenlang nicht wissen, wie es den Häftlingen geht und ob sie noch am Leben sind. In dringenden Fällen gibt es keine Möglichkeit, rasch eine adäquate medizinische Behandlung zu erhalten. Familienmitglieder müssen wochenlang darum kämpfen, die nötigen Medikamente beschaffen zu dürfen. Einige Häftlinge leiden an unbehandelter, offener Tuberkulose. Während nach außen ein streng militärisches Regime mit mehreren Sicherheitsgürteln, Scannern und schwarz maskiertem Sicherheitspersonal herrscht, werden die einzelnen Zellenblocks von kriminellen Bandenmitgliedern beherrscht.
Espinal und Álvarez müssten also aus dem Hochsicherheitsgefängnis entlassen werden und sich vor einem normalen, ordentlichen Gericht gegen die Vorwürfe von Sachbeschädigung und Brandstiftung verteidigen können. Sie hätten sogar das Recht, nach einer weiteren Anhörung gegen die Zahlung einer Kaution in Freiheit auf ihren Prozess zu warten. Die dafür nötigen Summen (umgerechnet 7.000 und 9.000 US-Dollar) wurden mit Hilfe einer internationalen Spendenkampagne erreicht. Edwin Espinal sagte in einer Botschaft im Mai 2019, als er von der großen nationalen und internationalen Solidarität erfahren hatte: "Es gibt keine Worte, um auszudrücken wie sehr unsere Hoffnung als politische Gefangene mit jeder Person wächst, die sich für uns einsetzt. Ich hoffe, euch allen eines Tages persönlich danken zu können."
Doch der Prozess wird verschleppt. Aus der Sicht von Edwins Ehefrau, der kanadischen Menschenrechtsaktivistin und Leiterin des nordamerikanischen "Honduras Solidarity Network", Karen Spring, geschieht das mit voller Absicht: Zuerst legte die Staatsanwaltschaft Berufung gegen die Nicht-Zuständigkeitserklärung des Nationalen Gerichtes ein, obwohl dies verfahrensrechtlich gar nicht vorgesehen ist. Dann dauerte es einen Monat bis die Akte zum Berufungsgericht geschickt wurde. Dort sind die Richter dieselben, die schon einmal zugunsten der Zuständigkeit der Nationalen Gerichtsbarkeit entschieden hatten. Die Verteidigung stellte deshalb einen Befangenheitsantrag, der abgelehnt wurde. Dagegen legten Espinals und Àlvarez Anwälte am 20. März 2019 Rechtsmittel ein, über die nach honduranischem Recht binnen einem Tag hätte entschieden werden müssen. Seither sind vier Monate vergangen.
"Als handele es sich nicht um Menschen, sondern einen Virus"
Raúl Álvarez‘ Anwalt Edy Tabora spricht von Rechtsbeugung und Missbrauch des Strafrechts. Der Jurist und Menschenrechtsexperte Joaquín Mejía sagte kürzlich in einem Programm des jesuitischen Senders "Radio Progreso", das Recht werde in diesem Fall benutzt, um es als Waffe gegen als Feinde klassifizierte Individuen einzusetzen. Die Haft im Hochsicherheitsgefängnis diene der "absoluten Neutralisierung – als handele es sich nicht um Menschen, sondern um einen Virus". Nach Recherchen des honduranischen Komitees für die Freilassung der Politischen Gefangenen wurden von Ende 2017 bis Mai 2019 174 Oppositionelle aus politischen Gründen kriminalisiert. Ihre Zahl wächst weiter, da in ganz Honduras seit Mai wieder Tausende gegen das Regime von Juan Orlando Hernández auf die Straße gehen.
Exponiertestes Beispiel der Kriminalisierung dieser neuerlichen Protestwelle ist der junge Lehrer Rommel Baldemar Herrera Portillo (23). Er wurde am 31. Mai 2019 bei Protesten gegen geplante Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungswesen verhaftet. Er war mit einem Teil des riesigen Demonstrationszuges in der Hauptstadt Tegucigalpa an der US-Botschaft vorbeigekommen, die normalerweise von einem Wachdienst und der Polizei abgeschirmt wird, von denen an diesem Tag jedoch offenbar nichts zu bemerken war. Als Herrera sah, dass vor der Eingangstür der Botschaft einige Reifen in Brand gesteckt wurden, griff er sich ein paar weitere, die schon bereit lagen und warf sie ins Feuer. So schildern es Augenzeugen und so zeigt es ein Video. Danach ging er weiter und wurde kurz darauf von einem großen Polizeiaufgebot umringt. Beobachter vermuten, dass der Brand inszeniert war und Herrera, der sich verleiten ließ, mitzumachen, nun den idealen Sündenbock abgibt. Gegen ihn wurde am 1. Juni Untersuchungshaft in einem regulären Gefängnis nahe Tegucigalpa angeordnet. Honduranische Sicherheitskräfte brachten den jungen Mann jedoch ohne weitere Begründung oder gar rechtliche Grundlage ins weit entfernte Hochsicherheitsgefängnis "La Tolva" im Departement El Paraíso. Seine Eltern wussten 72 Stunden lang nicht, wo ihr Sohn war. Sie werfen den Behörden illegale Verschleppung, Misshandlung und Folter vor. Gegen Herrera wurde am 6.Juni, obwohl keine weiteren Beweise gegen ihn vorgelegt werden konnten, Anklage wegen Sachbeschädigung und schwerer Brandstiftung erhoben.
Der Vizedirektor des Staatlichen Gefängniswesens (Instituto Nacional Penitenciario, INP), German McNeil, bestritt kürzlich in einer Pressekonferenz alle Vorwürfe und betonte, dass die Menschenrechte der drei Gefangenen geachtet würden. Auf Nachfrage von Journalisten antwortete er, die U-Haft von Herrera in "La Tolva" entgegen einem richterlichen Beschluss liege im freien Ermessen der Behörden. Für Rommels Eltern, Juan Carlos Herrera und Mari Cruz Portillo, beide ebenfalls Lehrkräfte, ist der Fall klar: "Unser Sohn ist ein weiterer politischer Gefangener und seine Haft eine eindeutige Botschaft an die honduranische Bevölkerung, die auf den Straßen für ihre Rechte kämpft. Mit seiner Verhaftung wird versucht, die sozialen Bewegungen auszubremsen und die Proteste zu kriminalisieren."