TEGUCIGALPA (HondurasDelegation)
“Justicia para Berta – Gerechtigkeit für Berta” kann nicht
allein vor Gericht gesucht werden. Während der Oberste Gerichtshof
in Tegucigalpa darüber zu beraten hat, ob die Richter*innen im Fall
Berta Cáceres wegen ihrer Parteilichkeit und der Mißachtung der
Rechte der Nebenklage ersetzt werden sollten, organisierte das
landesweite Netzwerk der Menschenrechtsverteidigerinnen (Red Nacional
de Defensoras de Derechos Humanos en Honduras) ein Podium
kämpferischer Frauen, die am Eingangstor der Nationalen Universität
unter freiem Himmel über Bertas ganzheitliches Erbe sprachen.
Nichts, aber auch gar nichts hatten die Redebeiträge mit der
versteinerten Märtyrerikonografie gemein, zu der die Opfer
politischer Morde mancherorts verdammt werden.
Die Redner*innen
ließen Berta in ihren Worten und Gesten und Körpern leben; sie
zeigten, dass es den Auftraggebern des Mordes nicht gelungen ist, ihr
Ziel zu erreichen und den Widerstand der indigenen
Basisorganisationen zu brechen. Zugleich wurde deutlich, welch riesige
Lücke der Mord in das Gewebe der verschiedenen Kämpfe um
Territorien und Selbstbestimmung weit über Honduras hinaus gerissen
hat. Lolita Chávez Ixcaquic, Maya K'iche-Aktivistin und spirituelle
Wegweiserin aus Guatemala, die aufgrund von Morddrohungen und
Kriminalisierung gezwungen ist, im Exil zu leben, sagte: “Berta hat
uns gelehrt, für uns zu sorgen, uns selbst zu heilen und
strategisch, politisch, spirituell und in Bezug auf die kosmische
Ordnung der Welt vorzubereiten, um wirksam zu werden. Das ist unsere
Aufgabe, unser Weg heute. (...) Berta war eine Lenca, die für die
gesamte Menschheit kämpfte, nicht nur für die indigenen Völker
(pueblos originarios). Sie dachten, mit dem Mord könnten sie Bertas
Erbe zum Schweigen bringen, aber sie haben sich getäuscht: Wir haben
sie gesät! (...) Säen heißt handeln, heisst arbeiten. Säen heisst
das Feld bestellen, nicht bloß reden. (...) Bertita hat uns zur
Selbstkritik aufgerufen und sie hat uns verbunden, denn die
Territorien werden hier verteidigt, aber auch anderswo, überall. Wir
werden nicht nachlassen, wir müssen dieses Erbe teilen lernen, darin
liegt die Stärke von uns indigenen, feministischen, rebellischen
Frauen. Verteidigen wir unsere Körper, unsere Territorien und das
Leben – aber gemeinsam! (...) Ich kann mein Territorium nicht
betreten, weil ich dort verfolgt und kriminalisiert werde. Sie haben
gedacht, ich würde mich nun unter strengen Sicherheitsvorkehrungen
mit Wachschutz irgendwo einschließen - sie haben sie getäuscht. Ich
wandere über unseren Kontinent Abya Yala. (...) Unsere Aufgabe ist
es, die verschiedenen Kämpfe miteinander zu verweben – gegen das
Patriarchat, den Neoliberalismus und den Rassismus. (...) So wird
Gerechtigkeit Gegenwart.”
Miriam Miranda, Koordinatorin der
Garífuna-Organisation OFRANEH und enge Freundin von Berta Cáceres,
sprach vor den Studierenden und weiteren Interessierten über die
gemeinsamen Jahrzehnte: “Mit Berta haben wir darüber diskutiert,
wie das Bildungssytem verändert werden muss. Wir brauchen eine
Erziehung zur Freiheit. Sogar hier an der Nationalen Universität
werden Studierende zu Sklav*innen erzogen. Sogar hier an dieser
Universität ist in keiner Weise davon die Rede, dass ein Honduras
ein plurikulturelles Land ist. Und noch viel weniger setzt man dies
in die Praxis um. (...) In den Grundschulen, den weiterführenden
Schulen, den Universitäten, überall geht es um Unterwerfung. Die
Militarisierung der Gesellschaft ist zu einer Normalität geworden,
die uns umbringt.”
Miriam Miranda erinnerte daran, dass
Berta entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Garífuna sich als
Subjekt*innen eigenen Rechts und nicht mehr als Objekte des Gesetzes
sehen. Die von COPINH initiierten indigenen “Pilgerwege” nach
Tegucigalpa hätten den Hauptstädter*innen die Augen geöffnet, die
zunächst glaubte, die indigenen Gemeinschaften existierten nur noch
in steinernen Relikten und dann meinten sie könnten die
Protestierenden vor dem Kongress mit einer Prise Mitleid und einem
Pfund Reis abspeisen.
“Berta war nicht einfach eine
Umweltschützerin. Das akzeptierte ich nicht und habe es in den 25
Jahren gemeinsamen Kampfes nicht akzeptiert! Sie haben ihr dieses
Etikett aufgeklebt, nachdem wir sie gesät hatten, aber dank Berta
Cáceres, dank COPINH, gab es eine Neugeburt der indigenen
Gemeinschaften in Honduras und die Nation musste anerkennen, dass wir
als Rechtsubjekte existieren. Wir existieren weiter, wir widersetzen
uns weiter und wir kämpfen weiter!”
Die korrupte und mörderische
Mafia-Klasse, die Honduras im Griff halte, sei selbst gerade einmal
100 Jahre im Land, behaupte aber, die Garifuna seien
“Neuankömmlinge”, keine Indigenen: “Sie haben versucht die
indigenen Gemeinschaften und die Garifuna hier unsichtbar zu machen,
aber es ist ihnen nicht gelungen!” Nun würden die Organisationen,
die ihre Territorien und Gemeingüter verteidigen, dafür als
Vandalen und Terroristen abgestempelt: “Der Mord an Berta war
sorgfältig geplant, der Prozess ist sorgfältig geplant und genauso
sorgfältig ist nun die üble Kriminalisierungskampagne gegen uns
geplant.”
Ähnlich wie Lolita Chávez
reflektierte Miriam Miranda, die Zersplitterung der sozialen Kämpfe
in Honduras und darüberhinaus kritisch: “Wir müssen unsere
Widerständigkeiten von unserer Kosmovision her verknüpfen, die
Harmonie, die wir zerstört haben wiederherstellen. Die Harmonie ist
dermaßen zerstört, dass es wir bei uns selbst beginnen müssen, sie
wiederherzustellen. Wir müssen verstehen, was der Kampf bedeutet,
was es bedeutet, rebellische Frauen zu sein, rebellische Jugendliche
an der Universität...”
Berta habe stets auf das Recht gepocht,
ein besseres Honduras aufzubauen. Bei den früheren, großen Treffen
der “Völker der Erde und des Meeres” seien bis zu 2000
Mitglieder indigener Gemeinschaften zusammengekommen, um gemeinsam
ein anderes Honduras zu denken : “Wir dürfen heute nicht
vergessen, dass es gilt Honduras neu zugründen! (...) Es schmerzt
uns, dass unsere Jugendlichen, unsere Leute weggehen. Es ist der Plan
dieser politischen Klasse, die Territorien an die Drogenmafia, an die
Kriminellen, an alle möglichen Leute zu geben, die dieses Land
kontrollieren wollen. Dabei haben wir genug Ressourcen um gut zu
leben – gut ! – und zwar alle gemeinsam, als Honduranerinnen und
Honduraner. Aber nicht mit diesem Quatsch, den sie >Entwicklung<
nennen!”