Sonntag, 23. September 2018

Bericht vom Netzwerk der landesweiten Menschenrechtsverteidiger*innen in Honduras


(v.links) Brenda Miralda und Suli Rodriguez, Student*innenbewegung
Miriam Miranda, OFRANEH, Noemi Dubón (Foro de Mujeres por la Vida)
Lólita Chavez (Red de Sanadoras Ancestrales del Feminismo Comunitario, Guatemala)

TEGUCIGALPA (HondurasDelegation) “Justicia para Berta – Gerechtigkeit für Berta” kann nicht allein vor Gericht gesucht werden. Während der Oberste Gerichtshof in Tegucigalpa darüber zu beraten hat, ob die Richter*innen im Fall Berta Cáceres wegen ihrer Parteilichkeit und der Mißachtung der Rechte der Nebenklage ersetzt werden sollten, organisierte das landesweite Netzwerk der Menschenrechtsverteidigerinnen (Red Nacional de Defensoras de Derechos Humanos en Honduras) ein Podium kämpferischer Frauen, die am Eingangstor der Nationalen Universität unter freiem Himmel über Bertas ganzheitliches Erbe sprachen. Nichts, aber auch gar nichts hatten die Redebeiträge mit der versteinerten Märtyrerikonografie gemein, zu der die Opfer politischer Morde mancherorts verdammt werden. 


Die Redner*innen ließen Berta in ihren Worten und Gesten und Körpern leben; sie zeigten, dass es den Auftraggebern des Mordes nicht gelungen ist, ihr Ziel zu erreichen und den Widerstand der indigenen Basisorganisationen zu brechen. Zugleich wurde deutlich, welch riesige Lücke der Mord in das Gewebe der verschiedenen Kämpfe um Territorien und Selbstbestimmung weit über Honduras hinaus gerissen hat. Lolita Chávez Ixcaquic, Maya K'iche-Aktivistin und spirituelle Wegweiserin aus Guatemala, die aufgrund von Morddrohungen und Kriminalisierung gezwungen ist, im Exil zu leben, sagte: “Berta hat uns gelehrt, für uns zu sorgen, uns selbst zu heilen und strategisch, politisch, spirituell und in Bezug auf die kosmische Ordnung der Welt vorzubereiten, um wirksam zu werden. Das ist unsere Aufgabe, unser Weg heute. (...) Berta war eine Lenca, die für die gesamte Menschheit kämpfte, nicht nur für die indigenen Völker (pueblos originarios). Sie dachten, mit dem Mord könnten sie Bertas Erbe zum Schweigen bringen, aber sie haben sich getäuscht: Wir haben sie gesät! (...) Säen heißt handeln, heisst arbeiten. Säen heisst das Feld bestellen, nicht bloß reden. (...) Bertita hat uns zur Selbstkritik aufgerufen und sie hat uns verbunden, denn die Territorien werden hier verteidigt, aber auch anderswo, überall. Wir werden nicht nachlassen, wir müssen dieses Erbe teilen lernen, darin liegt die Stärke von uns indigenen, feministischen, rebellischen Frauen. Verteidigen wir unsere Körper, unsere Territorien und das Leben – aber gemeinsam! (...) Ich kann mein Territorium nicht betreten, weil ich dort verfolgt und kriminalisiert werde. Sie haben gedacht, ich würde mich nun unter strengen Sicherheitsvorkehrungen mit Wachschutz irgendwo einschließen - sie haben sie getäuscht. Ich wandere über unseren Kontinent Abya Yala. (...) Unsere Aufgabe ist es, die verschiedenen Kämpfe miteinander zu verweben – gegen das Patriarchat, den Neoliberalismus und den Rassismus. (...) So wird Gerechtigkeit Gegenwart.”

Miriam Miranda, Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH und enge Freundin von Berta Cáceres, sprach vor den Studierenden und weiteren Interessierten über die gemeinsamen Jahrzehnte: “Mit Berta haben wir darüber diskutiert, wie das Bildungssytem verändert werden muss. Wir brauchen eine Erziehung zur Freiheit. Sogar hier an der Nationalen Universität werden Studierende zu Sklav*innen erzogen. Sogar hier an dieser Universität ist in keiner Weise davon die Rede, dass ein Honduras ein plurikulturelles Land ist. Und noch viel weniger setzt man dies in die Praxis um. (...) In den Grundschulen, den weiterführenden Schulen, den Universitäten, überall geht es um Unterwerfung. Die Militarisierung der Gesellschaft ist zu einer Normalität geworden, die uns umbringt.”

Miriam Miranda erinnerte daran, dass Berta entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Garífuna sich als Subjekt*innen eigenen Rechts und nicht mehr als Objekte des Gesetzes sehen. Die von COPINH initiierten indigenen “Pilgerwege” nach Tegucigalpa hätten den Hauptstädter*innen die Augen geöffnet, die zunächst glaubte, die indigenen Gemeinschaften existierten nur noch in steinernen Relikten und dann meinten sie könnten die Protestierenden vor dem Kongress mit einer Prise Mitleid und einem Pfund Reis abspeisen.

“Berta war nicht einfach eine Umweltschützerin. Das akzeptierte ich nicht und habe es in den 25 Jahren gemeinsamen Kampfes nicht akzeptiert! Sie haben ihr dieses Etikett aufgeklebt, nachdem wir sie gesät hatten, aber dank Berta Cáceres, dank COPINH, gab es eine Neugeburt der indigenen Gemeinschaften in Honduras und die Nation musste anerkennen, dass wir als Rechtsubjekte existieren. Wir existieren weiter, wir widersetzen uns weiter und wir kämpfen weiter!”

Die korrupte und mörderische Mafia-Klasse, die Honduras im Griff halte, sei selbst gerade einmal 100 Jahre im Land, behaupte aber, die Garifuna seien “Neuankömmlinge”, keine Indigenen: “Sie haben versucht die indigenen Gemeinschaften und die Garifuna hier unsichtbar zu machen, aber es ist ihnen nicht gelungen!” Nun würden die Organisationen, die ihre Territorien und Gemeingüter verteidigen, dafür als Vandalen und Terroristen abgestempelt: “Der Mord an Berta war sorgfältig geplant, der Prozess ist sorgfältig geplant und genauso sorgfältig ist nun die üble Kriminalisierungskampagne gegen uns geplant.”

Ähnlich wie Lolita Chávez reflektierte Miriam Miranda, die Zersplitterung der sozialen Kämpfe in Honduras und darüberhinaus kritisch: “Wir müssen unsere Widerständigkeiten von unserer Kosmovision her verknüpfen, die Harmonie, die wir zerstört haben wiederherstellen. Die Harmonie ist dermaßen zerstört, dass es wir bei uns selbst beginnen müssen, sie wiederherzustellen. Wir müssen verstehen, was der Kampf bedeutet, was es bedeutet, rebellische Frauen zu sein, rebellische Jugendliche an der Universität...”

Berta habe stets auf das Recht gepocht, ein besseres Honduras aufzubauen. Bei den früheren, großen Treffen der “Völker der Erde und des Meeres” seien bis zu 2000 Mitglieder indigener Gemeinschaften zusammengekommen, um gemeinsam ein anderes Honduras zu denken : “Wir dürfen heute nicht vergessen, dass es gilt Honduras neu zugründen! (...) Es schmerzt uns, dass unsere Jugendlichen, unsere Leute weggehen. Es ist der Plan dieser politischen Klasse, die Territorien an die Drogenmafia, an die Kriminellen, an alle möglichen Leute zu geben, die dieses Land kontrollieren wollen. Dabei haben wir genug Ressourcen um gut zu leben – gut ! – und zwar alle gemeinsam, als Honduranerinnen und Honduraner. Aber nicht mit diesem Quatsch, den sie >Entwicklung< nennen!”