Donnerstag, 6. September 2018

Gewinnträchtiges Pseudoentwicklungsmodell



BERGBAU UND WASSERKRAFTWERKE SORGEN FÜR WASSERKONFLIKTE IN HONDURAS

 Von Daniela Dreißig in ILA 418 September 2018


Der Putsch im Juni 2009 verschaffte der Wirtschaftselite und den transnationalen Unternehmen in Honduras einen ebenso ungehinderten Zugriff auf Flüsse, Berge, Wälder wie auch auf den Gesetzgeber. Bereits sieben Wochen nach dem Putsch verabschiedete das Übergangsregime das Allgemeine Wassergesetz, das die Privatisierung der Wasservorkommen über die Vergabe von Konzessionen an private Unternehmen vorsieht. Im Jahr 2010 wurden zahlreiche Konzessionen für Wasserkraftwerke und Bergbauprojekte vergeben, die eine Laufzeit von 20 bis 25 Jahre haben und auf bis zu 50 Jahre verdoppelt sowie an andere Interessenten weiterverkauft werden können. 
 
Soledad Pazo vom UN-Menschenrechtskommissariat mit Kraftwerksgegnern vor Ort

 
Laut Elsia Paz, Präsidentin der „Vereinigung für Erneuerbare Energien Honduras“, generieren aktuell 41 private Wasserkraftwerke etwa 300 Megawatt – Tendenz steigend. Die sieben staatlichen Wasserkraftwerke produzieren mehr als 464 Megawatt. Der „Nationale Entwicklungsplan“ strebt bis 2038 eine Stromproduktion aus erneuerbaren Energien an, die bis zu 80 Prozent der Gesamtproduktion ausmacht. Neben dem Wassergesetz existieren acht weitere Gesetze (unter anderem das über die Forstschutzgebiete, zu Erneuerbaren Energien oder zu Trinkwasser), in denen die Wassernutzung „geregelt“ wird. Dabei versucht jeder Bereich, die Interessen seines eigenen Sektors zu wahren. Natürlich haben auch die Bergbauunternehmen ein großes Interesse an den Wasservorkommen. So verabschiedete der Kongress im Jahr 2013 das neue Bergbaugesetz, das neben der Wiedereinführung des gesundheitsschädlichen Bergbaus keine Einschränkungen zur Wassernutzung vorsieht. Bisher wurden an die 300 Explorations- und Nutzungslizenzen für den Bergbau erteilt. Eine Greenpeace-Studie über den Wasserverbrauch einer Mine, zum Beispiel in Argentinien, ermittelte einen Verbrauch von mehr als neun Millionen Liter pro Tag.

Besonders attraktiv ist der Bau von kleinen Wasserkraftwerken. Zum einen erhalten die Betreiberfirmen leichter Finanzierungen, zum anderen begleitet sie der Mythos, dass die Kleinen umweltverträglicher seien. Aber auch daran ist Kritik gerechtfertigt. So befürchtet Victor Fernández, Anwalt der Breiten Bewegung für Würde und Gerechtigkeit („Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia“, MADJ), dass mehrere kleine Wasserkraftwerke an einem Fluss das Ökosystem ebenso zerstören wie riesige Staudämme. Dazu kommt, dass der Bevölkerung der Zugang zu den Flüssen verweigert wird. Somit ist sie von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten und kann noch nicht einmal Nutznießer des erzeugten Stroms sein, so Fernández weiter. Der Strom wird unter anderem für die nördlichen Industriestandorte und den Bergbau genutzt. Auf regionaler Ebene ist das flussreiche Honduras für das mesoamerikanische Energienetz SIEPAC interessant. Die Energietrasse reicht von Mexiko bis Panama und ist das Nachfolge-Projekt des massiv kritisierten Plan-Puebla-Panama. Die Regierungen erhoffen sich dadurch die Ansiedlung weiterer Produktionszonen.

Die Wasserkraftprojekte stoßen in Honduras nicht nur auf Zustimmung, in vielen Orten existieren mittlerweile langjährige Konflikte um die Ressource Wasser. Der Widerstand der Lenca-Gemeinden gegen den illegalen Bau des Wasserkraftwerkes „Agua Zarca“ im Department Intibucá und die Ermordung der indigenen Umweltverteidigerin Berta Cáceres 2016 sorgte international für Aufmerksamkeit. Der Fall steht emblematisch für die vielen Wasserkonflikte, die in Honduras und in ganz Lateinamerika geführt werden. Nach wie vor sind die Mörder und Auftraggeber des Mordes nicht überführt. Die Verwicklung von Mitarbeitern der Betreiberfirma, von aktiven und ehemaligen Militärangehörigen und dem einflussreichen Finanzkapital in den Mord sind klar zu erkennen. Die Verhandlungen gegen die ersten acht Beschuldigten im September 2018 werfen ihre Schatten voraus.

Das nördliche Departement Atlántida ist ganzjährig reich an Wasser. 73 Flüsse und Bäche münden in den atlantischen Ozean, beinahe alle entspringen der Gebirgskette „Cordillera Nombre de Dios“, was unternehmerische Begehrlichkeiten weckt, die sich um die Einhaltung der Menschenrechte in Honduras nicht zu sorgen brauchen. So ist das Kleinwasserkraftwerk „Los Planes“ am Fluss Mezapa im Landkreis Tela mit einer geplanten Leistung von 1,5 Megawatt ein Paradebeispiel für die Missachtung der lokalen Bevölkerung, der nationalen Gesetzgebung und geltender Umwelt- und Menschenrechtsstandards. 

Der honduranische Unternehmer Jason Hawit erhielt mit seiner Firma „Hidroeléctrica Centrales El Progreso“ (Hidrocep) im Jahr 2010 sowohl eine Konzession als auch die Abnahmezusage durch das Nationale Elektrizitätsunternehmen (ENEE). Eine im gleichen Jahr von der MADJ angefertigte Studie berichtete über Schmiergeldzahlungen an Persönlichkeiten aus der Gemeinde durch Hawit, um eine schnelle Einwilligung für sein Projekt zu bekommen. Der Fluss Mezapa dient ca. 20000 Einwohner*innen als einzige Trinkwasserversorgung. Im Jahr 2016 gab der damalige Bürgermeister Mario Fuentes des Landkreises Tela seine Einwilligung zum Projekt und setzte sich über das Votum der überwältigenden Mehrheit der anwesenden Einwohner*innen in der offenen Gemeindeversammlung hinweg. Die Bauarbeiten begannen mit der Abholzung von Hunderten von Bäumen, die Verschlammung des Wassers war flussabwärts schnell sichtbar, Durchfall- und Hauterkrankungen verursacht durch toxische Substanzen und Kolibakterien folgten. Der MADJ-Koordinator und Anwalt Martín Fernández erläutert, warum der Bau illegal ist: „Zum einen verstößt er gegen die Verfassung, in der Wasser ein öffentliches Gemeingut ist und nicht privatisiert werden kann, zum anderen wurde die Entscheidung der betroffenen Gemeinden gegen ‚Los Planes‘ ignoriert und das verstößt gegen die Gemeindegesetzgebung.“
Das Anwaltsteam der MADJ erstattete mehrfach Anzeige. Im Januar 2017 inspizierte der Staatsanwalt der lokalen Umweltbehörde Randy Mejía die Schäden. Am Abend desselben Tages wurde auf Mejías Auto geschossen, worauf er mit seiner Familie das Land verließ. Im März 2017 errichtete die Bevölkerung ein friedliches Protestcamp im Sektor Pajuiles, das die Durchfahrt für Bau- und Versorgungsfahrzeuge für das Wasserkraftwerk blockierte.

Es folgten gewalttätige Attacken durch die Hidrocep-Mitarbeiter gegen die Kraftwerksgegner*innen sowie gewaltsame Räumungen durch Polizei und Militär. Für die Observierung des Camps wurden Drohnen eingesetzt.
Hawits sehr gute Beziehungen zur Politik und Justiz funktionierten und es zeigte sich bald, dass sich die Gemeindeverwaltung in Tela ausschließlich der Interessen des Unternehmers annahm. Die ermittelnde Behörde folgte den Anzeigen von Hidrocep und ermittelte ausschließlich gegen sichtbare Protestierende, die mit den Gerichtsprozessen kriminalisiert wurden. Gleichzeitig gingen sie den Anzeigen von Seiten des Anwaltsteams der MADJ nicht nach. Die klar identifizierten Angreifer der Attacke vom 4. August 2017, bei dem der Anwalt Martín Fernández und der Umweltaktivist Oscar Martínez schwer verletzt wurden, sind bis heute auf freiem Fuß. Aber auch die staatlichen Sicherheitskräfte werden gezielt zum Schutz der Interessen Hawits eingesetzt. So riegelten etwa 300 Agenten Anfang Mai 2018 die Zufahrtsstraße ab und eskortierten ihn und seine Baufahrzeuge zur Baustelle.
Ein Dialogprozess, an dem auch Vertreter*innen des UN-Menschenrechtskommissariats und der US-amerikanischen Botschaft beiwohnten, konnte weder die Entkriminalisierung noch den Baustopp erreichen.

Trauriger Höhepunkt des Konfliktes ist der Mord an Geovanny Díaz gewesen, einem Aktivisten des Protestcamps in Pajuiles. An einem frühen Morgen im Januar 2018 zerrten ihn Männer in Polizeiuniformen aus seinem Haus und exekutierten ihn auf der nahe gelegenen Straße mit mehreren Schüssen. „The Guardian“ berichtete darüber, dass die Art der Hinrichtung auf die gezielte, selektive Liquidierung eines Umweltaktivisten schließen ließ.
Fünf betroffenen Gemeinden sprach die Interamerikanische Menschenrechtskommission im Februar 2018 spezielle Schutzmaßnahmen zu und machte somit den Bau von „Los Planes“ für die Verweigerung des Menschenrechtes auf Wasser verantwortlich.
Eine Wende nahm der Fall Ende Juli 2018 als das Urteil des Verwaltungsgerichtes in San Pedro Sula wegen der Umweltverschmutzungen einen Baustopp anordnete. Die Gemeindeverwaltung reagierte nicht und setze sich erst nach Errichten eines Protestcamps vor ihrem Gebäude mit den Kraftwerksgegner*innen auseinander. Sie stimmte dem Baustopp zu, doch der Fall wurde nun an das Berufungsgericht für Verwaltungsstreitigkeiten in der Hauptstadt Tegucigalpa übergeben. Ein Aus ist noch nicht in Sicht: Die Umweltschäden sind drastisch, das Ökosystem ist nachhaltig gestört, die Trinkwasserversorgung weiterhin nicht gewährt. Dazu kommt, dass der soziale Frieden nachhaltig gestört ist. Die Spaltung der Gemeinden in die Gegner*innen des Projektes flussabwärts und die Fürsprecher*innen am Oberlauf des Flusses kann Jahrzehnte dauern.

Ein wichtiges Detail in den scheinbar „hausgemachten“ Konflikten ist die Rolle der international agierenden Unternehmen und Banken. Im Fall des Wasserkraftwerkes „Los Planes“ stellte sich heraus, dass die österreichische Firma „Geppert Hydropower“ die Turbinen liefert. Privatunternehmen wie „Geppert Hydropower“ nutzen den wachsenden Sektor und liefern Turbinen und andere Anlagen. Die Ähnlichkeit mit dem Fall „Agua Zarca“ ist nicht zu übersehen. Hier sorgten unter anderem die niederländische Entwicklungsbank FMO und die BCIE für die Finanzierung, die Turbinen sollten von Siemens/Voith-Hydro geliefert werden. Diese internationalen Player haben eindeutig eine Mitverantwortung an den gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Honduras, wenn es um Wasser und andere Rohstoffe geht.

Es bleibt abzuwarten, wie sich das Berufungsgericht in Tegucigalpa entscheiden wird: Ob die Bevölkerung das Recht auf Wasser bekommt und die Verursacher der Umweltzerstörung gestoppt werden oder das gewinnträchtige Pseudoentwicklungsmodell mal wieder Recht bekommt.                                         
                                                                        …die Autorin bleibt pessimistisch!