Dienstag, 12. Dezember 2017

Honduras: Auf dem direkten Weg in eine Diktatur

Ein aktueller Bericht aus der honduranischen Hauptstadt
erschienen in amerika21 am 05.12.2017 

Dieser Bericht erreichte uns per E-Mail. Die Verfasser möchten aus Sicherheitsgründen anonym bleiben.

Das Militär geht brutal gegen Demonstranten und die Zivilgesellschaft vor.
Da wir nun seit einiger Zeit in Honduras leben, fühlen wir uns verpflichtet zu
berichten, was hier im Land wirklich passiert.

Einige deutsche Medien haben über die politische Lage in Honduras berichtet, über die "Verzögerung" im Wahlprozess, die wohl eher auf einen Wahlbetrug hindeutet, Demonstrationen, Plünderungen, Brandstiftungen und, und, und... Meistens auch recht nah an der Realität, die wir selbst vor Ort erleben.





Leider gerät aber bisher noch nicht an die Öffentlichkeit, mit welcher Brutalität und menschenrechtsverletzender Art und Weise das Militär gegen Demonstranten und die Zivilgesellschaft vorgeht.

Am späten Abend des 1. Dezember 2017 rief der noch aktuelle Präsident Juan Orlando Hernández den Ausnahmezustand aus. Das Präsidialdekret wurde nicht von ihm selbst sondern vom Regierungssprecher Hernández Alcerro verkündet. Juan Orlando, der sich gegen die Verfassung zur Wiederwahl gestellt hatte, befand sich vermutlich für kurze Zeit im Ausland. Es kursierten Videos, in denen der Präsidenten-Jet das Land verließ und er meldete sich am 1. Dezember für einige Stunden bei TV-Videos nur per Telefon zu Wort. Wahrscheinlich macht ihm die extreme Anti-Haltung im Land Sorgen, die sich in landesweiten „FUERA JOH“-Rufen („Raus, JOH“ -Initialen von Juan Orlando Hernández), Protest-Musik, Massendemonstrationen und vor allem auch in den Sozialen Netzwerken widerspiegelt. Die Protesthaltung ist nicht nur den Anhängern des Oppositionsbündnisses Alianza de Oposición contra la Dictadura zuzuschreiben. In der Gesellschaft hat sich spätestens seit dem Putsch 2009, mehreren riesigen Korruptionsskandalen und Menschenrechtsverletzungen ein enormer Frust angestaut, der sich nun auf verschiedene Art und Weise Luft machen will.

Am Samstagabend (2. Dezember 2017) gab es eine nationale Initiative, die alle Honduraner aufrief, ihren Protest mit Töpfen, Pfannen und Kochlöffeln auszudrücken. Im ganzen Tal von Tegucigalpa waren um 19 Uhr und wiederholt um 22 Uhr für mindestens eine halbe Stude ein wildes Geklopfe und "Fuera-JOH"-Schreie aus verschiedenen Vierteln der Stadt zu hören. Es war beeindruckend mitzuerleben, wie ein Volk auf friedliche und kreative Weise seinen Protest ausdrückt und auf das am Freitag verkündete Präsidialdekret reagiert.

Das Ziel des Dekrets ist angeblich, die gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen der Juan Orlando-Gegner zu beenden. Eine nächtliche Ausgangssperre von 18 Uhr bis sechs Uhr wurde für zehn Tage verhängt. Es werden grundlegende Rechte außer Kraft gesetzt und die Polizei und das Militär dürfen nun jeden Bürger, der sich zu dieser Zeit auf den Straßen befindet oder "sich verdächtigt verhält" festnehmen (Art. 3). Eine interessante Zusatzinformationen ist, dass die Policía Militar von Juan Orlando selbst eingeführt wurde.

Das Dekret könnt ihr hier finden: https://criterio.hn/2017/12/01/conozca-texto-del-decreto-toque-queda-honduras/

Zwischen den Zeilen liest man also, dass der Polizei und dem Militär mehr Handlungsfreiheit gegeben wird und sie die "Pläne umsetzen dürfen, die zur Ordnung und Sicherheit der Republik beitragen" (Art. 2).

Wie sich nur wenige Minuten nach der Verkündigung des Dekrets zeigte, scheinen diese "Pläne" zur politischen Repression zu führen. Über unser Haus in Tegucigalpa flogen gestern Abend Hubschrauber, wir hören durchgehend Schüsse und über verschiedene soziale Netzwerke erreichen uns fast im Minutentakt Video- und Fotobeweise der grausamen Taten der Militärpolizei. Das Dekret trat 15 Minuten nach seiner Verlesung um 23 Uhr in Kraft, das heißt, dass die Personen, die keine Möglichkeit hatten es über TV mitzuverfolgen, schon festgenommen werden konnten.

Es ist schwierig, in einem Land aufzuwachen, das sich auf dem direkten Weg in die Diktatur befindet, den Tag eingesperrt im Haus zu sitzen und zu erfahren, was sich da drauβen währenddessen alles abspielt. Deshalb haben wir uns heute überlegt, unseren Teil dazu zu tun und die Informationen wenigstens über unsere Kanäle zu verteilen. Es wäre schön, wenn ihr uns darin unterstützen und eure Netzwerke und Medien nutzen könntet.

Einem Bericht der Coalición contra la Impunidad y Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia (Koalition gegen die Straflosigkeit und breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit)(siehe Anhang) zufolge waren es zum Abend des 1. Dezember 118 Festnahmen, 8 offene Schussfeuer der Polizei oder Militär, 17 Verletzte und 4 Tote. Die Zahlen sind seit dem Ausruf des Ausnahmezustands sicherlich enorm gestiegen. Aktuelle Daten haben wir bisher noch nicht. Man spricht aber mittlerweile auch von zwei Kindern, die zu den Todesopfern zählen.

Heute, am Sonntag, ist der Tag anscheinend ruhig. Es gibt zahlreiche friedliche Demonstrationen in den großen Städten des Landes. Bei Interesse könnt ihr es auch selbst auf Twitter verflogen: #FueraJOH, #HondurasSOS und #CacerolazoHonduras.

Anm.d.Red.: Auf der Facebook-Seite der Koalition gegen die Straflosigkeit sind zahlreiche Videoaufnahmen veröffentlicht, die das brutale Vorgehen von Polizei und Militär zeigen