Vom
21. bis zum 28. werden an dieser Stelle tägliche Berichte über die Situation in
Honduras erscheinen, die in engem Informationsaustausch mit unseren
Partner*innen vor Ort entstehen.
Regierung
mobilisiert massives Militäraufgebot, Verhaftungen und Repression sollen die
Bevölkerung einschüchtern
Vor
dem Generalstreik: „Kriegs“vorbereitungen im Department Colón.
Quelle: criterio.hn
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(20. Januar - HondurasDelegation). Am Samstag, 20. Januar
begann in Honduras eine Protestwoche gegen die für den 27. geplante erneute
Amtsübernahme des amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández (Nationale
Partei). Geplant sind Demonstrationen, Straßensperren und mehrere Tage
Generalstreik. Das Szenario ist ebenso ernüchternd wie eindeutig: Regierung und
Streitkräfte, allen voran die von Hernández geschaffene Militärpolizei für
Öffentliche Ordnung (PMOP), setzen weiter auf massive Einschüchterung,
Kriminalisierung und Repression bis hin zu schwerer Körperverletzung, Folter
und außergerichtlichen Hinrichtungen gegen diejenigen, die sie als „inneren
Feind“ identifizieren. Dies sind Mitglieder und Sympathisant*innen der
„Oppositionsallianz gegen die Diktatur“, Menschenrechtsverteidiger*innen, die
Übergriffe dokumentieren wollen und unbotmäßige Journalist*innen und
Medienschaffende, die versuchen, über die wahren Ereignisse zu berichten.
Beobachter*innen in der Industriemetropole San Pedro Sula im Norden von
Honduras und in verschiedenen Departements, darunter Choloma und Cortés,
berichteten am Freitag, 19. Januar von Vorbereitungen des Militärs wie für eine
kriegerische Auseinandersetzung. Begleitet wird dieser Krieg durch den Einsatz
von informellen paramilitärischen Kräften (Todesschwadronen) und massive
Desinformations- und Diffamierungskampagnen in den sozialen Netzwerken.
Willkürliche
Verhaftung und Terrorismusanklage gegen Aktivisten
Eines
der Opfer dieser Kampagnen war seit dem 13. Januar Edwin Robles Espinal, ein
bekannter Aktivist aus dem demokratischen Widerstand gegen den
zivilmilitärischen Putsch in Honduras 2009. Am 19. Januar wurde Espinal im
Vorfeld der Protestwoche festgenommen. Vermummte Männer in Zivil, die sich
nicht auswiesen, brachten ihn zum Verhör bei der Kriminalpolizei. Ihm wird nun
in einer konstruierten Anklage Sachbeschädigung, Raub und Terrorismus
vorgeworfen. Der Eigentümer des Hotels Mariott, das bei gewaltsamen
Auseinandersetzungen am 12. Januar beschädigt worden war, habe ihn angezeigt.
Die Oppositionsallianz verdächtigt eingeschleuste Provokateure, die
Verwüstungen angerichtet zu haben. Espinal war 2010 in Polizeihaft gefoltert
worden, seine Lebensgefährtin Wendy Avila starb nach dem Putsch bei einer
Protestkundgebung durch einen Pfeffersprayangriff staatlicher Sicherheitskräfte.
Die interamerikanische Menschenrechtskommission verpflichtete den
honduranischen Staat seither zu besonderen Schutzmaßnahmen für Espinal, der
immer wieder ins Visier der Sicherheitskräfte geriet. Die jetzige
Terrorismusanklage wird durch eine Strafrechtsreform möglich, an der Spanien
mit Fördermitteln der Europäischen Union federführend beteiligt war. Sie könnte
unter anderem auch gegen weitere Oppositionelle eingesetzt werden, die mit
Espinal gemeinsam verunglimpft wurden, darunter Journalisten des einzigen
regierungskritischen Fernsehsenders UNE TV, Studierende der Nationalen
Universität, deren Proteste im vergangenen Jahr gewaltsam niedergeschlagen
worden waren und Aktivist*innen aus Choluteca im Süden von Honduras. Erwartet
werden aber nicht „nur“ Verhaftungen, sondern auch gezielte Morde an
Führungspersonen der sozialen Proteste. Das NGO-Bündnis „Koalition gegen die
Straflosigkeit“ warnt, dass 63 Menschenrechtsverteidiger sich in einer
hochgefährlichen Situation befinden. Es prangert an, dass der staatliche
Schutzmechanismus für sie bisher nicht nur untätig oder ineffizient blieb, wie
sonst üblich, sondern in vier Fällen sogar die Aufnahme verweigerte.
Diffamierungskampagnen
und Morde
Allein
bis Ende vergangenen Jahres wurden 21 außergerichtliche Hinrichtungen gegen
Oppositionelle dokumentiert, 20 davon durch Mitglieder der Militärpolizei.
Inzwischen ist von zwischen 35 und 45 derart Ermordeten die Rede. Zahlreiche
Demonstrierende wurden teils schwer verletzt. Das lokale Büro des UN-Hochkommisariats
für Menschenrechte appellierte vergeblich, keine letalen Waffen gegen die
Protestierenden einzusetzen.
Am
Neujahrstag wurde Wilmer Paredes in San Juan Pueblo (Departement Atlántida) von
Unbekannten aus einem grauen Lieferwagen heraus erschossen. Er war einer der
Koordinatoren der lokalen Proteste gegen den wahrscheinlichen Wahlbetrug vom
26. November und deshalb wochenlanger Bespitzelung und Verfolgung ausgesetzt.
Eine Hass- und Diffamierungskampagne beschuldigt nun die Führungsspitze der
Umwelt- und Menschenrechtsorganisation MADJ des Mordes. Für den Leiter des MADJ
Martín Fernández und seinen Bruder Victor, der Anwalt u.a. im Mordfall Berta
Cáceres ist, bedeutet dies akute Gefahr für Leben und Sicherheit. Berichtet
wird nahezu täglich auch von Razzien staatlicher Sicherheitskräfte, die ganz
Stadtviertel durchkämmen und Bewohner*innen terrorisieren oder gezielt
Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss durchführen und
Tränengasgranaten in Häuser werfen.
Oppositionskandidat
bittet UN um Vermittlung
Die
Oppositionsallianz mit dem politisch unerfahrenen, politisch eher
rechtsgerichteten Sportreporter Salvador Nasralla an der Spitze und dem (2009
aus dem Präsidentenamt weggeputschten) Vorsitzenden der Mittelinks-Partei
Freiheit und Neugründung (Libertad y Refundacion - LIBRE) José Manuel (Mel)
Zelaya als Führungspersönlichkeit hat am 10. Januar ein
12-Punkte-Strategiepapier herausgegeben, in dem die Nicht-Anerkennung der
neuerlichen Präsidentschaft Hernández gefordert wird und zu Proteste und
Streiks gegen seinen Amtsantritt aufgerufen wird. Der Wahlprozess solle mit
kriminaltechnischen Mitteln untersucht werden. Wenn es nicht möglich sei, einen
Gewinner festzustellen, sollten binnen sechs Monaten Neuwahlen mit einem
reformierten Wahlgesetz anberaumt werden. Den von Präsident Hernández
angebotenen „Dialog“ lehnt die Oppositionsallianz unter den gegebenen Umständen
ab. Nasralla bat am 19.Januar die Vereinten Nationen um sofortige Vermittlung
in dem Konflikt.